„Das Unbekannte wagen“
Klaus Martin vom Freundschaftskreis Bautzen-Worms über 30 Jahre innerdeutsche Partnerschaft, Austausch zwischen Bürgern und eine Gedenkmünze zum Jubiläum
Herr Martin, Sie haben eine Münze zu 30 Jahren Freundeskreis Bautzen-Worms prägen lassen, um damit 30 Jahre innerdeutsche Partnerschaft zu feiern. Das ist ja inzwischen schon ein Stück Zeitgeschichte. Wie kam es zu dieser Partnerschaft?
Worms hat sich noch zu Zeiten der deutschen Teilung, also schon frühzeitig, um eine Städtepartnerschaft zu einer Stadt in der damaligen DDR bemüht. Zwischen einigen Regionen gab es das ja schon: innerdeutschen Städtepartnerschaften. Damals war Helmut Schmidt noch Bundeskanzler. Unser ursprünglicher Wunsch war: Wir wollten gerne eine Lutherstadt als Partnerstadt. Das war im November 1989. Damals wurde den Fraktionen im Wormser Stadtrat mitgeteilt: „Wir haben eine Partnerschaft zu einer Stadt in der DDR.“ Wir waren alle begeistert, als dann der Name Bautzen fiel.
Was wussten Sie damals von Bautzen?
Nun, als Erstes fällt einem das „Gelbe Elend“ ein, die Justizvollzugsanstalt, das Stasi-Gefängnis. Aber Bautzen ist natürlich viel mehr als das: ein lebendiges Zentrum der Oberlausitz mit einer reichen kulturellen Geschichte, darunter der der sorbischen Minderheit, selbst Napoleon hatte dort Einzug gehalten. All das haben wir dann sehr schnell mitbekommen.
Wann nahm die Städtepartnerschaft Bautzen-Worms konkrete Züge an?
So richtig Fahrt aufgenommen hat diese Initiative erst nach 1990. Die alten Funktionäre kamen im Februar 1990 nach Worms, um den Vertrag zu unterzeichnen. Damals gab es ja noch die DDR. Kurze Zeit später gab es Neuwahlen, und ein neues Gespann reiste an, mit dem ersten frei gewählten Oberbürgermeister in Bautzen, Christian Schramm. Ich war damals Stadtratsmitglied für die CDU und wollte mir ein eigenes Bild von unserer künftigen Partnerstadt machen. Zuvor hatte ich über eine Hilfsorganisation, die sich damals für Menschen aus Diktaturen in Osteuropa einsetze, Kontaktadressen erhalten. Kurzentschlossen habe ich mich ins Auto gesetzt, bin dorthin gefahren und habe neue Leute kennengelernt – unter anderem Christian Schramm. So kannten wir uns schon, als er dann Bürgermeister wurde.
Wie reagierten die Leute damals auf diesen neuen Austausch zwischen West und Ost?
Viele, die anfangs eher skeptisch waren, sahen diesen Schritt als Chance, das Unbekannte zu wagen.
Wie haben Sie diese Beziehungen in der Anfangsphase aufgebaut?
Ich muss dazu sagen, Bautzen hat außer Worms auch noch eine weitere Partnerstadt: Heidelberg. Damals begann eine Art Wettlauf in puncto Unterstützung. So hat die Stadt Heidelberg recht schnell das „Heidelberg-Haus“ in Bautzen renovieren lassen. Und wir, die Stadt Worms, hat Bautzen ebenfalls Hilfe angeboten, etwa im Aufbau einer neuen Verwaltung. Aber auch ganz konkrete Projekte wurden angeschoben – so hat die Stadt Worms Ziegel für die Schiller-Schule in Bautzen angeschafft, einen Omnibus aus dem städtischen Omnibusbetrieb zur Verfügung gestellt, den ersten Dienstwagen für den Oberbürgermeister nach Bautzen geliefert. Es hat sich eine rege innerdeutsche Beziehung ergeben …
… all das zunächst auf der Ebene „Partnerschaft der Städte“. Wie haben beide Städte dann in den folgenden Jahren die Beziehung zwischen den Menschen gestaltet?
Eine echte Partnerschaft kann es natürlich nur geben, wenn die Bürger sie mittragen. Das ist das Pünktchen auf dem i. Es hat sich ein Verein in Bautzen gegründet und einer in Worms. Wir haben Bautzener Bürger eingeladen, haben uns gegenseitig besucht. Nach einer gewissen Zeit hat dieses erste rege Interesse etwas nachgelassen, aber in den vergangenen zehn Jahren konnten wir es wieder reaktivieren.
Sie fahren regelmäßig nach Bautzen und umgekehrt. Was hat Sie an diesem Austausch am meisten gereizt?
Der Osten war für uns als Westbürger ein großes Fragezeichen. Dank der formalen Städtepartnerschaft konnten wir diese auch mit Leben füllen und einander im Laufe der letzten 30 Jahre kennenlernen. Wir sehen das als große Bereicherung an. Getragen von der anfänglichen Freude über die Wiedervereinigung entstand im Laufe der Jahrzehnte eine echte Partnerschaft zwischen den Bürgern.
30 Jahre sind ein guter Grund zu feiern. Wie kamen Sie auf die Idee, anlässlich dieses Jubiläums eine Münze prägen zu lassen?
Am 13. März hielt im Ratssaal der Stadt Worms der ehemalige sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich einen Vortrag; der eigentliche Festakt mit einer offiziellen Delegation aus Bautzen fand einen Tag später statt, am 14. März. Ein würdiges Gedenken! Für uns als Freundschaftskreis Bautzen-Worms kam bei der Vorbereitung auf den Festakt die Idee einer individuellen Gedenkmünze. Wir wurden da hervorragend vom Unternehmen derTaler betreut. Von den 100 Jubiläumsmünzen zur innerdeutschen Partnerschaft ist der Großteil wie warme Semmeln weggegangen – wir haben sie bei verschiedenen Gelegenheiten vergeben, ein paar der individuell gestalteten Gedenkmünzen haben wir natürlich für die Ehrengäste des Festakts aufgehoben, darunter den Oberbürgermeister von Bautzen.
Bei welcher Gelegenheit haben Sie die Jubiläumsmünzen außerdem übergeben?
Wir haben im Vorfeld eine Münzausstellung organisiert – im November 2019 um den Mauerfall herum. Das war die erste Aktion der Stadt Worms überhaupt mit einer eigenen Gedenkmünze zum Jubiläum. Die Ausstellung lief gut vier Wochen in der Volksbank Worms, sie war sehr gut besucht, sogar von der Deutschen Numismatischen Gesellschaft. Wir haben sechs Vitrinen mit verschiedenen Münzen gezeigt, darunter unserer Gedenkmünze zur Städtepartnerschaft. Sie hat große Beachtung gefunden. Jetzt freuen wir uns auf den Gegenbesuch in Bautzen zum Tag der Deutschen Einheit – sofern die Corona-Umstände das zulassen.